Seine Nachbarin vergaß, ihn zu grüßen, als sie den Rucksack sah. „Was wollen Sie denn damit?“
„Was man nun einmal mit einem Rucksack will“, antwortete Sebald Sesshaft in rüdem Ton. Natürlich wusste er, worauf Frau Nebenan hinauswollte. In der ganzen langen Zeit, in der er nun Tür an Tür mit ihr wohnte, hatte er nicht eine einzige Reise unternommen. Nicht einmal einen Wochenendtrip. Abenteuer und andere Länder kannte er nur aus Büchern und den seltenen Stunden, in denen er vor dem Fernseher entspannte.
Doch genau erinnerte er sich an die Worte Susis. Sie sei ihm durchaus zugeneigt, doch gewünscht habe sie sich immer einen weltgewandten Mann, der von Reisen zu berichten wüsste, der bereit sei, Risiken einzugehen, und den Abenteuer nicht schreckten. Er dagegen sei seinen Lebtag nicht aus Winzstadt herausgekommen und habe noch nichts von der Welt gesehen.
Und so überraschte er nun nicht nur Frau Nebenan mit seinem neuen Rucksack, auch für ihn selbst war sein Tatendrang von novellistischer Natur.
Doch hielt er daran fest, gab Arbeit und Wohnung auf, um die Welt zu bereisen. Nur er und sein Rucksack. In asiatischen Steppen kämpfte er gegen den Durst, in afrikanischen Dschungeln gegen das Fieber und im amerikanischen Westen gegen Grizzlys. Keine Gefahr hielt ihn ab, wenn es auch meist eher das Glück war, das ihn am Leben hielt. Nur ein Gedanke trieb ihn voran, derselbe, der ihn schließlich wieder nach Hause führte. Der Gedanke an seine Susi Süßkind.
Doch der Heimkehrer fand ihren Namen nicht an der Tür, denn eine Susi Süßkind gab es nicht mehr: Susanne, die nun Suchnicht hieß, hatte nie auf ihn gewartet.
So blieb Sebald Sesshaft nur sein Rucksack.
Vielleicht hätte er ihr zwischendurch mal ein Lebenszeichen zukommen lassen müssen? Denn woher sollte sie sonst wissen, dass er auf all seinen Reisen nicht der Wolllust frönte, sondern nur für sie unterwegs war? Gedankenleserei ist eine schwere Kunst.
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Schöner Text. Aber das weißt du ja.
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Dankeschön. 🙂
Tja, er war wohl noch etwas unerfahren in solchen Dingen.
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Oh, wie traurig. Aber so kommt’s im Leben…
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Ja, das Leben ist hart.
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Er hat aber doch die vielen bunten Eindrücke und Erlebnisse seiner langen Reise. Wenn er es zulässt, dass diese sein Herz, seine Seele bereichern, dann hat er diese Suse Süßkind/Suchnicht bald schon vergessen, denn dann wird er einen Menschen finden, der weitaus wertvoller ist…
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Das hast du schön gesagt. Willst du dem armen Sebald nicht ein Happy End schreiben?
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